Manche Hunde sind einfach anders

Sina

Liebeserklärung an einen ungewöhnlichen Hund

 

Heute erzähle ich euch mal ein bisschen von meiner Hündin Sina, denn sie ist das, was ich als eine Ausnahmeerscheinung bezeichnen würde. Hübsche Prinzessin, Schlammferkel, Schmusequeen aber auch distanzierte Eigenbrötlerin, eigensinnig, pragmatisch und höchst intelligent. Doch das allein macht sie noch nicht sonderlich speziell.

Sina kam auf ungewöhnliche Weise in mein Leben. Von Jägern in Süditalien, wo ich damals wohnte, grob behandelt, eingesperrt und dann abgeschoben, weil untauglich für die Jagd. Sie war ein Geschenk eines Freundes, der sie vorerst in Obhut genommen hatte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das verstörte Bündel Elend nachhause getragen habe und auch daran, dass ich bei mir dachte: das schaffen wir, sie ist noch jung. Sie war damals knapp sieben Monate alt.

 

Inzwischen haben wir viel zusammen erlebt, und nicht nur Erfreuliches. Sie brachte mich manchmal an den Rand der Verzweiflung. Zum Beispiel dann, wenn sie unterwegs ohne ersichtlichen Grund einfach stehen blieb und durch nichts dazu zu bewegen war weiterzugehen, während wir uns meilenweit von zuhause weg befanden. Oder dann, wenn sie sich tage- oder wochenlang nur unter dem Bett verkroch und immer mehr in sich zurückzog. Oder wenn sie partout das Haus nicht mehr verlassen wollte, um zu gemeinsamen Unternehmungen aufzubrechen. Manchmal musste sie dazu genötigt werden, wenigstens vor die Tür zu gehen, um ihr Geschäft zu verrichten. Wenn es draussen windet, verkriecht sie sich noch heute unter irgendwelchen Möbeln oder in einer sicheren Ecke, wo wir sie manchmal kaum wiederfinden. Dass sie sich auch bei Gewitter und Feuerwerk fürchtet, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden.

 

Irgendwann, etwa nach den ersten zwei gemeinsamen Jahren, fing sie an, sich vor Fluglärm zu fürchten. Der Fluglärm war ja aber lange vorher schon da. Sind wir draussen unterwegs, kann sie das kleinste Geräusch dazu veranlassen sich hinzusetzen und zu zittern ohne Ende, wohingegen anderer, weitaus lauterer und plötzlich auftretender Lärm sie unbeeindruckt lässt. Ist Gebüsch in der Nähe führe ich sie an der Leine, denn im Bruchteil einer Sekunde kann sich ihre Verfassung ändern und sie sucht unverzüglich das nächstbeste Versteck auf, mit Vorliebe eben Büsche, in die sie sich so weit verkriechen kann, dass auch ich keinen Zugriff mehr auf sie habe. Ok, zu ihrer und meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das mit den Jahren besser geworden ist und sie manchmal schon auf nettes Bitten und wenn das nicht hilft auf energisches Darauf-Bestehen aus ihrem Versteck wieder rauskommt. Früher war dann langes Warten angesagt. Das braucht Nerven, das kann ich euch sagen. Aber natürlich darf ich mich dann nicht aufregen, denn Aufregung ist im Umgang mit Hunden nie zuträglich.

 

Seltsamerweise tritt ihr unsicheres Verhalten nur phasenweise auf, es gibt Zeiten, in denen man ihr nichts anmerkt und sie sich benimmt wie alle anderen Hunde auch. Bis heute bin ich nicht dahinter gekommen, was dafür verantwortlich ist, dass ihre Stimmung plötzlich kippt und sie in alte Muster zurückfällt.

 

Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob sie auch Gespenster sieht, das dann aber vor allem in den sicheren vier Wänden. Sie setzt sich dann plötzlich hin und starrt in eine Richtung, in der ich nichts ausmachen kann.

 

Von verschiedenen Hundeexperten ist zu hören, dass die Vergangenheit eines Hundes doch nichts mit seinem heutigen Leben und Verhalten zu tun hätte. Auch wenn ich jemand bin, der positive Veränderungen grundsätzlich immer für möglich hält, kenne ich genügend Hunde, die nicht oder nie ganz über ihre alten Traumata hinweggekommen sind. Mag sein, dass Hunde im Hier und Jetzt leben und nicht Vergangenem nachhängen. Trotzdem ist es wohl so, dass die Vorgeschichte eines Hundes sein ganzes späteres Leben prägen kann aber nicht muss.

 

Ich habe eine lange Zeit der Spurensuche hinter mir, habe nachgeforscht über mögliche Ursachen und nach Lösungen gesucht. Jahrelang habe ich mir gut gemeinte Ratschläge von Hunde- und Nichthundehaltern angehört, einige davon ausprobiert, nie mit anhaltendem Erfolg und mich dabei immer gefühlt wie eine Versagerin. Von Abklärungen beim Tierarzt über Homöopathie, verschiedene Ansätze von Hundetrainern und sogar Seelenrückholung aus dem Schamanismus und Energieheilung haben wir alles ausprobiert. Lange galt bei mir die Devise: geht nicht gibt's nicht. Ich dachte, wenn ich nur das fehlende Puzzleteil und/oder den richtigen Umgang mit ihr finde, wird sich alles auflösen. Damit setzte ich mich automatisch unter Druck, weil ich den Fehler bei mir suchte. Ich wollte, dass mein Hund glücklich ist, wollte "ihr Problem" lösen. Dass ich mich von dieser Idee trennen konnte verdanke ich einem Artikel von einer Berufskollegin, Sophie Strodtbeck, deren Dönertier sein Leben lang ein ähnliches Verhalten an den Tag legte wie meine Sina.

 

Heute habe ich akzeptiert, dass es Hunde gibt, die einfach anders sind und dass wir für gewisse Verhaltensweisen keine Erklärung finden. Dass Hunde auch ihre eigenen Themen haben, an die wir Menschen einfach nicht rankommen. Jetzt nehme ich es locker, wenn ich auf der Strasse auf das merkwürdige Verhalten meines Hundes angesprochen werde.

 

Bei der ganzen Geschichte habe ich vor allem eines gelernt: dass ich mich auf mein Gefühl verlassen kann, denn im Nachhinein betrachtet hat mich dieses nie getäuscht. Nebst Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten hat mich Sina auch Achtsamkeit und Entschleunigung gelehrt, anders war der Alltag mit ihr nicht zu meistern. Und ganz nebenbei habe ich festgestellt, dass man so viel leichter durchs Leben kommt.

 

Nach nunmehr fünf Jahren akzeptiere ich Sina so wie sie ist, mit all ihren nervigen Macken und Eigenheiten. Bei ihr wechseln sich Phasen von Zurückgezogenheit und Ängstlichkeit ab mit Phasen von purer Lebensfreude. Das ist dann, wenn sie sich draussen ausgiebig wälzt, sich unter freiem Himmel auf den Rücken legt und von mir den Bauch kraulen lässt, in freudiger Aufregung mit der Nase eine Spur verfolgt oder ihren Hundekumpel Luis dazu animiert, wieder mal ausgiebig mit ihr zu rennen. Dann fragen sich die Leute manchmal, wo die andere Sina geblieben ist, denn die beiden Extreme haben nichts miteinander gemeinsam.

 

So schwierig es manchmal mit ihr war, so dankbar bin ich heute für alles, was Sina mir gezeigt hat. Ohne sie hätte ich nie so unglaublich viel über Hunde gelernt, hätte nicht all die tollen Menschen kennen gelernt, die sich jeden Tag für das Wohl der Tiere einsetzen und hätte wohl nie das gefunden, was mich wirklich erfüllt. Und natürlich habe ich durch sie auch ganz viel über mich erfahren ;-). Danke Sina für alles, was du mir beigebracht hast!

 

Wie die Geschichte weitergeht könnt ihr hier lesen.

 

 


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