Rollen

 

Ziemlich lange habe ich mich mit dem Mysterium der Rudelstellungen befasst. Gibt es sie wirklich, und warum sehe ich manchmal tatsächlich die beschriebenen Verhaltensweisen bei Hunden und manchmal auch wieder nicht?

 

Menschen nehmen verschiedene Rollen ein, je nachdem, in welcher Situation wir gerade sind. Ein gutes Beispiel sind Frauen und Mütter. Sie sind manchmal in der Rolle der Mutter, dann wieder Hausfrau, Ehefrau und Geliebte, am Arbeitsplatz nehmen sie die Rolle der Sachbearbeiterin, Lehrerin oder Geschäftsführerin ein. Auch die verschiedenen Anforderungen, welche die Arbeit an sie stellt, liessen sich noch in verschiedene Rollen unterteilen. Wir können also verschiedene Rollen einnehmen, je nachdem, was die jeweilige Situation von uns fordert. Und das ist gut so, denn die Herausforderungen des Lebens fordern von uns diese Flexibilität.

 

Ich beobachte, dass auch Hunde Rollen einnehmen. Je nachdem, in welcher Konstellation sie zusammenkommen, sind sie in einer anderen Rolle. Eine Hundegruppe braucht zum Beispiel nicht drei Leittiere, und so werden sich zwei aus dieser Verantwortung zurückziehen, weil es sinnlos wäre, zu dritt die gleiche Aufgabe zu übernehmen. Hier geht es wohl auch um die Schonung von Ressourcen.

 

Mein Hund Luis ist ein Entscheidungsträger, und diese Rolle ist ihm wie auf den Leib geschrieben. Kann er sie einnehmen, besitzt er Nerven wie Drahtseile, auch in herausfordernden Situationen. Wenn eine Gruppe mit Hunden zusammengestellt wird, die zueinander passen, d.h. die nicht die gleichen Kompetenzen und Ressourcen haben wie er, dann übernimmt er sehr gerne die Rolle des für Ruhe und Ordnung sorgenden Leittiers. Er tut dies mit stoischer Ruhe und grosser Präsenz und seine wahre Grösse kommt dann zum Vorschein. Er beeindruckt damit auch Hunde, die das 4 - 5fache seines Körpergewichts haben.

 

Sind wir aber auf einem Spaziergang und treffen unterwegs auf andere Hunde, dann fühlt er sich nur in ganz seltenen Fällen für etwas zuständig. Interessant ist, dass dies als junger Hund noch anders war. Er fühlte sich damals auch für Katzen, Pferde und eigentlich für alle Tierarten zuständig, wollte vermitteln und Ruhe und Ordnung wieder herstellen. Für mich sind dies Indizien, dass Hunde zwar von Natur aus unterschiedliche Kompetenzen mitbringen, sie aber nur dann einsetzen, wenn es in ihren Augen sinnvoll und notwendig ist.

 

Hunde leben heute mit uns in Bedingungen, die nicht mehr ihrer Natur entsprechen. Die meisten leben auf relativ engem Raum mit anderen Hunden (ich spreche hier von den Hunden, die sie täglich auf Spaziergängen mit uns antreffen), und das funktioniert erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass Hunde territorial sind. So können sie manchmal auch desorientiert sein und nicht mehr wissen, wer sie eigentlich sind, weil sie nicht ihre Kompetenzen austesten und leben können. Es kann sehr heilsam sein (übrigens für den Hund wie auch für seine Menschen), wenn Hunde ihre Ressourcen kennen und ihre Kompetenzen in einer Gruppe unter Beweis stellen dürfen.

 


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